Survivorship Bias – Die Geschichte der vergessenen Fehler

Was haben abgeschossene britische Kampfflugzeug im zweiten Weltkrieg mit den Perfomance von Fonds und Aktienindizes gemein? Dieser Frage wollen wir in diesem Beitrag auf den Grund gehen. Zentrales Stichwort ist dabei der sogenannte Survivorship Bias. Dieser kann dazu führen, dass die historischen Performances falsch gedeutet und fehlerhafte Schlüsse daraus gezogen werden.

 

Auf jeden großen Erfolg kommen Tausende, ja sogar Zehntausende von Misserfolgen. Allerdings sind Geschichten über das Scheitern, sofern nicht hochspektakulär, bei weitem nicht so attraktiv wie Geschichten des Triumphs. Aus diesem Grund wird seltener über sie berichtet. Dabei lassen wir uns von Geschichten über Erfolg gerne blenden, verlieren dabei den Überblick und überschätzen am Ende die Chancen auf echten Erfolg.

In der Finanzwirtschaft sorgen spektakulär gescheiterte Unternehmen zwar für gelegentliche Abwechslung, in der Regel sind aller Augen aber auf die erfolgreichen Firmen gerichtet. Leider lässt uns dieser einseitige Blickwinkel in einem sogenannten Bias bzw. eine fehlerbasierte Neigung bei der Wahrnehmung bestimmter Umstände und damit eine verzerrte Darstellung der Wirklichkeit abrutschen.

Im Folgenden wollen wir uns diesen ganz speziellen Bias, im Übrigen nur einer aus einer ganzen Reihe weiterer Verzerrungseffekten denen wir Menschen ausgesetzt sind, etwas genauer ansehen und seine Bedeutung bei Anlageentscheidungen ergründen.

Wir Menschen befassen uns von Natur aus nicht gerne mit Misserfolgen, übersehen dabei aber schnell, dass nur das Betrachten aller möglichen Ergebnisse, egal ob vorteilhaft oder nicht, zu einem möglichst vollständigen Bild führt. Zunächst soll uns aber eine kleine Geschichte aus dem zweiten Weltkrieg das Konzept des Survivorship Bias etwas näherbringen: Während der späten Phase des Krieges stand Deutschland, nachdem es die Lufthoheit praktisch verloren hatte, mehr oder weniger unter Dauerbeschuss durch englische Kampfflieger. Gar einige englische Flugzeuge wurden während der Einsätze durch gegnerischen Beschuss zum Absturz gebracht. In der Regel kostete solch ein Abschuss dem Piloten sein Leben. Um die Arbeit der Piloten also sicherer zu machen und damit die Moral in der Truppe zu festigen, bekamen englische Ingenieure den Auftrag, die eigenen Flugzeuge besser zu schützen. Dies wollte man durch eine zusätzliche Panzerung erreichen. Da man aber mit jedem Kilo Zusatzgewicht einerseits die Flugeigenschaften des Flugzeuges einschränkte und andererseits die Reichweite reduzierte, entschied man sich, nur besonders wichtige Stellen zu schützen. Nun standen die Ingenieure allerdings vor dem Problem, dass sie nicht genau wussten, welches denn die Stellen waren, welche besser geschützt werden mussten. Also machten sie das naheliegendste und begann damit Flugzeuge, welche aus dem Kampfeinsatz zurückkehrten, genauer zu untersuchen, um jene Stellen, welche statistisch die meisten Einschusslöcher aufwiesen, zu ermitteln. Diese wurden anschließend durch eine zusätzliche Panzerung zu verstärken.

Nun würde man erwarten, dass die Verlustquote durch diese Maßnahmen gesenkt werden konnte. Doch weit gefehlt, denn ungewöhnlicherweise verringerte sich die Rate der abgeschossenen Flugzeuge nicht signifikant. Die folgende Ursachenforschung ließ die Ingenieure zu dem Schluss kommen, dass die schwere zusätzliche Panzerung die Manövrierfähigkeit der Maschinen zu stark einschränkte und damit den Vorteil der zusätzlichen Panzerung wieder ausglichen.

Der Mathematiker Abraham Wald war aber anderer Meinung und machte einen zunächst doch sehr merkwürdigen Vorschlag: entgegen jeglicher Logik empfahl er, die Flugzeuge nicht an jenen Stellen mit den meisten Einschusslöchern zu verstärken, sondern im Gegenteil, gerade an jenen Stellen, an denen sich keine Löcher fanden. Die Überlegung des Mathematikers war nämlich, dass die Flugzeuge, welche nach Hause zurückkehrten, dort getroffen wurden, wo kein großer Schaden angerichtet werden konnte.

Diejenigen Fluggeräte, die an den Stellen getroffen wurden, an denen die Heimkehrer keine Einschusslöcher aufwiesen, kehrten hingegen nicht nach Hause zurück. Nicht die schwere Panzerung war laut ihm also Grund für die gleichbleibende Rückkehrer Quote, sondern die Panzerung der falschen Stellen. Und tatsächlich waren die Ingenieure einem fatalen Irrtum aufgesessen: Sie vernachlässigten in ihren Untersuchungen die abgeschossenen Flugzeuge komplett. Aus diesem Grund wurde diesem kognitiven Verzerrungseffekt schließlich auch der Namen „Survivorship Bias“ gegeben. Frei übersetzt bedeutet dies: „Verzerrung zugunsten der Überlebenden“.

„Survivorship Bias“ ist also ein logischer Denkfehler, nach dem Dinge, welche einen Vorgang oder Prozess „überleben“, die gesamte Konzentration auf sich ziehen und jene Dinge, welche den Vorgang „nicht überleben“, aufgrund deren „Unsichtbarkeit“ außer Acht gelassen werden.

Ein anderes Beispiel sind zahlreiche Beratungsbücher, die Strategien für den Berufserfolg verraten und deren Überlegenheit anhand von Beispielen dokumentieren. Das Problem an diesen Ratgebern: Sie verraten nichts darüber, in wie vielen Fällen die propagierten Strategien nicht funktioniert haben.

Selbstverständlich stolpert man auch auf den Finanzmärkten immer wieder über solche „Survivorship Bias“, unter anderem beim Vergleich der Performances von Fonds. Wenn ein Anleger einen Fonds kaufen möchte, dann betrachtet er zuerst die Renditen der Kandidaten welche für ihn in Frage kommen würden. Er meint, mit seinem Investment mindestens ein Ergebnis erwarten zu können, welches dem Durchschnitt dieser Fonds entspricht. Doch bereits da hat der Survivorship Bias zugeschlagen, denn der Anleger missachtet, dass die schlechtesten Fonds aufgrund ihrer Erfolglosigkeit immer wieder vom Markt verschwinden und daher zum Zeitpunkt des Vergleiches nicht miteinbezogen werden. Dies führt dazu, dass die Renditeerwartungen systematisch zu optimistisch ausfallen, denn die Verluste der ausgemusterten Fonds tauchen ja nicht mehr in den Daten auf. Das kann sich - je nach Methode und Datenbasis - rasch auf einen deutlichen Renditeunterschied summieren, die ein Portfolio vermeintlich besser abschneidet, weil die Verlierer vergessen wurden.

Durchschnittliche Fonds-Renditen beinhalten typischerweise nur die überlebenden Fonds. Wenn „tote“ Fonds, also Fonds welche nicht mehr existieren, in die Berechnung miteinbezogen werden, dann verringert sich die Prozentanzahl jener Fonds, welche die Benchmark übertreffen. Auch die Wertentwicklung eines Aktienindexes leidet unter dieser Verzerrung, und zwar dadurch, dass Aktien, die wegen ihrer schlechten Wertentwicklung aus dem Index fallen, bei späteren Berechnungen nicht mehr einbezogen werden. Ein Aktienindex berücksichtigt immer nur die erfolgreichsten Aktien - das sind sozusagen all die Kampfflieger, die den Einsatz am Himmel überstanden haben.