Die Lohn-Preis-Spirale

Bei einer Inflationsrate von fast 7 Prozent (italienische Inflation: 6,8% im Mai 2022) klingt es nachvollziehbar, dass Arbeitnehmer mehr Geld fordern. Hohe Preissteigerungsraten sollten zum Ausgleich auch zu höhere Löhne führen – diese Gleichung klingt logisch. Doch sie geht nicht auf, da solche Preissteigerungen sowohl Arbeitnehmer, als auch Arbeitgeber gleichermaßen treffen.

Die Lohn-Preis-Spirale: Worum es dabei geht, in welchen Situationen und wieso sie entstehen kann, erfahren wir in diesem Beitrag.

 

Was ist eine Lohn-Preis-Spirale?

Eine Lohn-Preis-Spirale ist die kontinuierlich angepasste Reaktion von Haushalten und Unternehmen angesichts einer drohenden oder vorherrschenden Inflation. In Krisenzeiten kann eine Rohstoffknappheit zu einem reduzierten Angebot führen, während die Nachfrage hoch bleibt, was den Preis der Produkte in die Höhe treibt. Gewerkschaften fordern höhere Löhne und gleichzeitig steigen die Preise der Produkte und Vorprodukte, was den Preis der Endprodukte wiederum in die Höhe treibt… und so wird die Spirale in Gang gesetzt.

Generell sind Lohnerhöhungen auch in Krisenzeiten möglich und notwendig. Laut verschiedenen Ökonomen kann dies die Wirtschaft stabilisieren, sehen wir uns daher im Folgenden an in welchen Fällen dies zutreffend sein kann.

Wie entsteht eine Lohn-Preis-Spirale und was für eine Rolle spielt die Produktivität der Firmen?

Zahlen Unternehmen mehr für ihre Mitarbeiter, dann haben Sie zunächst höhere Kosten für die Herstellung ihrer Waren oder Dienstleistungen als zuvor. Gleiches gilt, wenn Vorprodukte – zum Beispiel Rohstoffe – teurer werden.

Unternehmen haben zwei Möglichkeiten, mit solchen Kostensteigerungen umzugehen:

Effizienter werden, also Produktionskosten senken

Wenn Unternehmen die Produktivität steigern, können sie ihre Produkte weiterhin zum gleichen Preis anbieten – auch wenn der Arbeits- oder Materialaufwand teurer ist als zuvor.

Kostenübergabe

Wenn Unternehmen andererseits nicht produktiver werden, müssen sie höhere Kosten auf den Endpreis aufschlagen. Waren und Dienstleistungen werden dann teurer.  Letztlich entscheidet die Produktivität darüber, ob der Preis eines Produkts steigt oder nicht. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften sollten sich daher nach ökonomischer Logik an der Produktivität und nicht an der Preisentwicklung orientieren. Wenn Gewerkschaften anders handeln, könnte dies böse enden:

Wenn die Arbeitnehmervertreter ihre Lohnforderungen an der Inflationsrate und nicht am Produktivitätswachstum orientieren, müssen Unternehmen ihre gestiegenen Kosten an die Verbraucher weitergeben und dadurch steigen die Preise (Preise werden steigen).  Diese höheren Preise wiederum bedeuten niedrigere Reallöhne – Einkommen haben dann einen geringeren Wert – weshalb Gewerkschaften in der nächsten Verhandlungsrunde höhere Löhne fordern könnten. Es gibt einen bestimmten Zeitraum, in dem ein Verbraucher bereit ist, mehr für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bezahlen. Dieser Zeitraum ist den Unternehmen jedoch vorher unbekannt, wird dieser nicht richtig eingeschätzt, entstehen neue Lohnforderungen – dann fängt die Spirale wieder an.

Aus der Vergangenheit lernen!

Ein Beispiel hierfür finden wir im Jahr 1975, mit Einführung der italienischen "Scala Mobile", einer Vereinbarung, mit der ein Mechanismus zur automatischen Anpassung der Löhne an die Entwicklung der Verbraucherpreise in Kraft trat, auf den dann allerdings eine Inflationsperiode mit Raten von über 20% folgte.

Die Vereinbarung sah vor, die Indexierung der Löhne an die Inflation zu koppeln.

Auf der einen Seite stand das Ziel der Stabilisierung der Nachfrage, auf der Anderen der Schutz der weniger wohlhabenden Bevölkerung. Durch die Neutralisierung der Auswirkungen des Preisanstiegs auf die Reallöhne sollte die Kaufkraft konstant gehalten und so die Gefahr eines Nachfragerückgangs mit seinen depressiven Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung verringert werden. Leider war das Ergebnis dieser Vereinbarung völlig anders als geplant:

Die Inflation schnellte in die Höhe, die Wirtschaft geriet in eine Rezession, die Arbeitslosigkeit stieg, die Reallöhne sanken, und das vor allem zum Nachteil der schwächsten Bevölkerungsschichten.

Genau heute befinden wir uns in einer ähnlichen Situation.

Aktuell, wird die Eurozone von einem mehr oder weniger unerwarteten Preisanstieg getroffen. Grund dafür sind die Auswirkungen der pandemischen Rezession und die russische Aggression gegen die Ukraine.

Gäbe es heute einen Automatismus wie in den 70er Jahren, könnte sich das Spiralrisiko wie folgt verwirklichen: Der Anstieg der Rohstoffkosten wird mit dem automatischen Anstieg der Löhne verknüpft; die Unternehmen laden die höheren Kosten bei ihrer Preis- und Produktionsgestaltung teils durch weitere Erhöhungen der Verbraucherpreise, teils durch Produktionskürzungen und Beschäftigung ab, und so weiter.

Wenn man davon ausgeht, dass die Indexierungsmechanismen systematisch und homogen sind, ist es offensichtlich, dass ein hypothetischer Rolltreppenmechanismus (Scala Mobile) zu einem perversen Mechanismus wird, der sich von den guten Zwecken, “ Effizienz und Gerechtigkeit“, für die er konzipiert wurde, entfernt.

Zentralbanken können mit Zinserhöhungen reagieren

Solch eine Situation riefe auch die Zentralbank auf den Plan. Die kann eine Lohn-Preis-Spirale stoppen, indem sie eine restriktive Geldpolitik betreibt. Das heißt: Sie erhöht die Zinsen, wodurch es lukrativer wird, zu sparen, statt Geld auszugeben. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen. Allerdings wirken sich höhere Zinsen durch die Zentralbank negativ auf Investitionen und das Wirtschaftswachstum aus.

Wenn, wie im vorherigen Fall der Gewerkschaften die Lohn-Preis-Spirale eintritt, kann dies eine inflationäre Entwicklung verstärken und im ungünstigsten Fall zu einer sogenannten Stagflation, also einem Zusammenspiel aus Stagnation und Inflation, führen. Bei einer Stagflation besteht über viele Jahre hinweg eine hohe Inflation mit geringem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit.

Fazit

Wir haben gesehen, dass es nicht so einfach ist eine ausgewogene Lohn- und Geld-politische Strategie zu fahren und für „Gleichgerechtigkeit“ zu sorgen ohne Risiko einzugehen. Dieser „einfache“ Mechanismus, der für Gleichgewicht und Gerechtigkeit sorgen soll, kann unter gewissen Umständen, seinen Zweck erfüllen… kommt er jedoch in einem ungeeigneten Umfeld zur Anwendung, kann das zu unvorteilhaften Ergebnissen führen